Digitale Sitzungen sind in Freiburg nach wie vor nicht möglich. Die Stadtverwaltung beharrt darauf, dass die Beschlüsse nicht rechtssicher sind, in einer Antwort auf ein Schreiben unserer Fraktion und JUPI hält das Innenministerium dagegen. Sascha Fiek will keine Diskussion darüber, wer am Stillstand Schuld ist – sondern einfach nur, dass digitale Sitzungen so bald es geht möglich sind.

Verehrter Herr Oberbürgermeister,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

dem Thema Gremiensitzung mit Videounterstützung wohnt eine ganz besondere Ironie inne. Ganz Deutschland wurde durch die Pandemie im Frühjahr aufgerüttelt und das Thema Digitalisierung plötzlich mit Leben gefüllt. Die Unternehmen lernten, dass sich Geschäftsmeetings online und ohne Flüge quer über den Planeten organisieren lassen, die Bevölkerung fand heraus, dass man bequem kontaktlos bezahlen kann und Kulturschaffende kreierten ganz neue Wege, mit ihrem Publikum digital in Kontakt zu treten.

Gleichzeitig gab es einen hohen Erwartungsdruck von Seiten der Politik z.B. in Richtung von Schulen und Universitäten, nicht nur in Windeseile auf digitales Lehren und Lernen umzustellen, sondern dabei auch ein Höchstmaß an Qualität zu bieten. Nach jahrelangem Zögern und Abwarten haben sich weite Teile der Gesellschaft, durch die Pandemie katalysiert, den Herausforderungen gestellt und den überfälligen digitalen Strukturwandel eingeleitet.

Nur die Politik selbst hängt wieder einmal hinterher und wird den eigenen Ansprüchen nicht gerecht. Auf der einen Seite fordert man Digitalisierung ein, bekommt es aber selbst nicht umgesetzt. Eine handwerklich unzureichende Änderung der Gemeindeordnung durch die Landesregierung, die eigentlich digitale Gremienarbeit hätte ermöglichen sollen, ist, wenn man den Ausführungen der Verwaltung glaubt,  als Tiger gesprungen, aber als Bettvorleger gelandet. 

Dabei mag man ja noch nachvollziehen, dass eine digitale Beschlussfassung bei bedeutsamen Satzungen oder umstrittenen Themen nicht ermöglicht wurde. Auch völlig unproblematische Gegenstände, die regelmäßig ohne jegliche Aussprache durchgewunken werden, wie beispielsweise die lange Liste der Jahresabschlüsse in der aktuellen Tagesordnung, will man zur Sicherheit lieber nicht dem für manche immer noch unbekannten Neuland Internet überantworten. Auch das mag man sogar noch verstehen. Aber dass Stadträt_innen, die per Video im Gemeinderat oder in Ausschüssen zugeschaltet sind, keinerlei Wortbeitrag leisten, ja noch nicht einmal eine Frage an die Verwaltung stellen dürfen, also in Passivität verharren müssen, lässt sich vielleicht in juristischen Winkelzügen begründen, widerspricht aber dem gesunden Menschenverstand zutiefst. Stadträt_innen, die zum Beispiel quarantänebedingt zu Hause bleiben müssen, sollten nach unserer Auffassung wenigstens rudimentäre demokratische Mitwirkungsrechte auf digitalem Wege eingeräumt bekommen.

Bei aller Wertschätzung für den juristischen Sachverstand im Rechtsamt und bei allem Verständnis dafür, dass man sich nicht angreifbar machen will, bin ich mir nicht sicher, ob es an der Stelle nur am Land liegt oder wir nicht doch vor Ort übervorsichtig agieren und mögliche Risiken betonen anstatt die Chancen zu sehen. Das Innenministerium jedenfalls ist auch nach persönlichen Gesprächen der Auffassung, dass die geänderte Gemeindeordnung alles ermöglichen würde, sogar rechtssichere Beschlüsse auf digitalem Wege.

Unabhängig davon, wo genau die Verantwortung für den Stillstand liegt, ist der Zustand unbefriedigend und frustrierend. Denn auch Demokratie und Politik müssen den Sprung ins digitale Zeitalter wagen und zumindest eine digitale Debattenkultur ermöglichen. Nämliches gilt für die Stärkung des Demokratieprinzips in Form der Einführung von Livestreams und/oder podcast Lösungen, um so einer breiteren Öffentlichkeit als bislang Zugang zum Gemeinderat zu bieten. Hier sind andere Kommunen bereits viel weiter als Freiburg. Herr Oberbürgermeister, lassen sie uns an der Stelle nicht bei einem Minimalkonsens verharren, sondern 2021 eine neuen Anlauf wagen und gehen sie auch nochmals auf das Land zu, um mit Stuttgart wenigstens zu klären, was denn nun wirklich gilt.